Positive Ergänzungsplanung durch Flächennutzungsplan, alles geklärt? – Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Januar 2023 (4 CN 6/21)

13.06.2023

Eine in Rechtsprechung und Literatur in den vergangenen Jahren viel diskutierte Frage war, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Flächennutzungsplan der Konzentrationszonen für Windenergieanlagen darstellt und eine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für diese Vorhaben für den restlichen Außenbereich der Gemeinde für sich in Anspruch nimmt, um zusätzliche Flächen für die Windenergienutzung ergänzt werden kann (vgl. nur: Zietlow/Hinsch, NordÖR 2022, 273). Um die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu erzielen, muss(te) der Planungsträger ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept (mit harten und weichen Tabuzonen) erarbeiten, welches der im Außenbereich grds. privilegierten Windenergienutzung (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) – zur Rechtfertigung des Ausschlusses – substantiell Raum schafft. Hier war bislang ungeklärt, ob sich auch die neuen Flächen in das alte Planungskonzept einpassen mussten.

Mit diesem Themenkreis hatte sich das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung aus Januar 2023, deren schriftliche Urteilsgründe nun vorliegen, auseinanderzusetzen.

Positive Ergänzungsplanung auch nach altem Recht zulässig

Vielfach wurde vertreten, § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a.F. erlaube Abstriche an einem gesamträumlichen Planungskonzept, wenn die Änderung eines Flächennutzungsplans die Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erneut herbeiführen soll. In § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a.F. heißt es aber lediglich:

„Werden in einem Flächennutzungsplan zusätzliche Flächen für die Nutzung von Windenergie dargestellt, folgt daraus nicht, dass die vorhandenen Darstellungen des Flächennutzungsplans zur Erzielung der Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 nicht ausreichend sind.“

Der Ansicht, dass § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB Abstriche am Planungskonzept erlaubt, hat das Bundesverwaltungsgericht nun allerdings eine Absage erteilt; die Vorschrift regele den Fall nicht. Das Gericht führt aber weiter aus, dass es dazu neige (in der Sache konnte es die Frage offenlassen),

„§ 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a.F. über seinen Wortlaut hinaus die Befugnis der Gemeinde zu entnehmen, eine bestehende Konzentrationszonenflächenplanung und die vor ihr bewirkte Ausschlusswirkung unberührt zu lassen und weitere Flächen als bloße Positivflächen darzustellen, ohne erneut eine gesamträumliche Planung vorzunehmen“

und verweist darauf, dass der Gesetzgeber eine solche Befugnis inzwischen – nach der Umstellung des Planungsregimes hin zu einer Positivplanung mit Entprivilegierung der Windenergienutzung im Außenbereich bei Erreichung der Flächenbeitragswerte nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) (§§ 35 Abs. 1 Nr. 5, 249 BauGB) – in § 245e Abs. 1 Satz 5 bis 7 BauGB dem Grundsatz nach anerkennt. So spricht der Gesetzgeber in der Begründung der Norm auch von einer Klarstellung zur sogenannten „isolierten Positivplanung“ (vgl. BT-Drs. 20/3743, S. 23). D.h. nach der vorläufigen Auffassung des Gerichts konnte auch nach dem alten Recht eine rein positive Ergänzung erfolgen, ohne zwingend erneut gesamträumlich zu planen. Zu den konkreten Anforderungen hat sich das Gericht allerdings nicht geäußert, sodass der Entscheidung – auch im Hinblick auf die Klarstellung der Möglichkeit der positiven Ergänzungsplanung in § 245e Abs. 1 Satz 5 bis 7 BauGB – insoweit keine klarstellende Wirkung zukommt.

Sonstiger Inhalt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Warum aber musste sich das Gericht mit den Anforderungen an eine positive Ergänzungsplanung nicht vertiefter auseinandersetzen? Dies ist im Sachverhalt des, der Entscheidung zu Grunde liegenden, Einzelfalls begründet. Die planende Gemeinde hatte einen alten Flächennutzungsplan mit fünf Konzentrationsflächen für Windenergieanlagen und einer korrespondierenden Ausschlusswirkung aus dem Jahre 1998 (in Form einer Neubekanntmachung aus 2008). Zwischenzeitlich wurden die dargestellten Sonderbauflächen für Windenergieanlagen auch in Bebauungspläne übernommen. Die der Entscheidung zu Grunde liegende Änderung des Flächennutzungsplans aus dem Jahr 2016 lag ein Standortkonzept aus 2014 – Fortschreibung 2016 – zugrunde, mit dem das gesamte Gemeindegebiet einer flächendeckenden Eignungsprüfung unterzogen wurde. Aus den so ermittelten Flächen wurden zwei Ergänzungsflächen ausgewählt; die – zwischenzeitlich in Bebauungspläne übernommenen – Altflächen lagen in harten und weichen Tabuzonen des neuen Standortkonzeptes (widersprachen diesem also), wurden von der planenden Gemeinde unter Bezugnahme auf § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB dennoch beibehalten. Die Vorinstanz (OVG Lüneburg, Urt. v. 26.02.2020 – 12 KN 182/17) erklärte die Änderung des Flächennutzungsplanes hinsichtlich der Ausschlusswirkung für unwirksam, weil es an einem schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzept fehle, da hinsichtlich der vorhandenen Altflächen zu Unrecht vom neuen Planungskonzept abgewichen worden sei.

Diese Begründung hielt das Bundesverwaltungsgericht nicht für vereinbar mit dem Bundesrecht. Es geht davon aus, dass die Gemeinde keine rein positive Ergänzungsplanung, sondern eine neue Konzentrationszonenplanung vorgenommen hat, die lediglich zusätzlich die zwischenzeitlich durch Bebauungspläne gesicherten Altflächen integriert habe. Für eine solche Planung gelte § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a.F. nicht, sondern allein § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB. Diese Vorschrift ermöglicht es aber lediglich eine Ausschlusswirkung für den Außenbereich herbeizuführen; das Oberverwaltungsgericht habe daher zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass die alten Konzentrationsflächen durch Bebauungspläne abgesichert waren (deshalb dem Innenbereich zuzuordnen sind) und so verlangt, dass die alten Konzentrationsflächen in das (neue) gesamträumliche Planungskonzept einzubeziehen und insbesondere die harten Tabuzonen auf diese Flächen anzuwenden seien, was aber nicht mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in Einklang stehe. Denn die Gemeinde ist – so das Bundesverwaltungsgericht,

„[w]eil sich eine Konzentrationszonenplanung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB schon von Rechts wegen nicht auf Flächen erstreckt, für die ein Bebauungsplan zumindest die Art der zulässigen baulichen Nutzung wirksam festsetzt, […] befugt, diese Flächen nicht den Maßstäben ihres gesamträumlichen Planungskonzepts zu unterwerfen“.

Entscheidet sich die Gemeinde, die durch Bebauungsplan gesicherten Flächen nicht dem gesamträumlichen Planungskonzept zu unterwerfen, muss das Konzept nur auf die verbleibenden Außenbereichsflächen angewendet werden, um die Ausschlusswirkung herbeizuführen. Dennoch dürfen die durch Bebauungsplan gesicherten (und in den Flächennutzungsplan übernommenen) Flächen zur Beantwortung der Frage, ob der Windenergie substantiell Raum verschafft wurde, herangezogen werden.

Da das Oberverwaltungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen zum Umfang der Sicherung der alten Konzentrationszonen durch Bebauungspläne getätigt hat und so nicht klar war, ob die im Flächennutzungsplan dargestellten Altflächen mit den im Bebauungsplan festgesetzten Sondergebieten umfänglich übereinstimmen, hat das Bundesverwaltungsgericht die Sache an das Instanzgericht zurückverwiesen.

Fazit

Im Hinblick auf die grundsätzliche Möglichkeit der positiven Ergänzungsplanung enthält die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wenig Neues. Dass eine Änderung und Fortschreibung einer bestehenden Konzentrationszonenplanung möglich ist, ist letztlich keine Überraschung, das folgt bereits aus § 1 Abs. 8 BauGB. Spannender war die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Fortschreibung und positive Ergänzung möglich ist, insb. ob und in welchem Umfang Bindungen an das bisherige Plankonzept bestehen. Dazu bleibt die Entscheidung eher vage – auch weil der zugrunde liegende Fall eben anders gelagert war (denn hier wurde nicht die Frage aufgeworfen, ob sich die neuen Flächen dem alten Konzept zu unterwerfen haben, sondern umgekehrt, ob die alten – in Bebauungsplänen festgesetzten Sondergebiete – dargestellt werden dürfen, obwohl sie mit dem neuen Konzept nicht übereinstimmen) – und äußert sich nur dahingehend, dass die Darstellung von Positivflächen möglich sei, ohne erneut gesamträumlich zu planen. Ob sich die Positivflächen aber in das alte Konzept einfügen müssen, oder völlig losgelöst davon ergänzt werden können, wird nicht ausdrücklich beantwortet. Der Verweis auf die Neuregelung in § 245e Abs. 1 Satz 5 bis 7 BauGB könnte die Vermutung nahelegen, dass auch damals schon vom Plankonzept abgewichen werden durfte, wenn jedenfalls die Grundzüge der Planung erhalten werden. Das Bundesverwaltungsgericht versäumt es aber – auch im Hinblick auf die Regelung des § 245e Abs. 1 Satz 5 bis 7 BauGB – Hinweise zu geben, unter welchen Voraussetzungen bei einer positiven Ergänzungsplanung noch von einer Übereinstimmung mit den Grundzügen der Planung ausgegangen werden darf. Zwar beinhaltet § 245e Abs. 1 Satz 7 BauGB eine Bagatellklausel, wonach bei Flächenerweiterungen bis zu 25 Prozent fingiert wird, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt sind; wie die Praxis zeigt, wird dieser Wert aber häufig überschritten und die Frage unter welchen Voraussetzungen die 25 Prozent-Schwelle überschritten werden kann, stellt sich auch nach dem neuen Recht.

Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Einbindung bestehender Sondergebiete für Windenergieanlagen in Bebauungsplänen in Flächennutzungspläne mit Ausschlusswirkung hingegen überzeugt. Der Umstand, dass sich die Konzentrationszonenplanung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auf den Außenbereich bezieht und daher Innenbereichsflächen nicht dem, für Rechtfertigung der Ausschlusswirkung erforderlichen, schlüssigen gesamträumlichen Plankonzept unterwerfen müssen, ist nachvollziehbar. Die Klarstellung hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit auf Ebene der Bebauungsplanung gesicherter und im Flächennutzungsplan dargestellter Sonderbauflächen für die Frage des substantiellen Raumschaffens ist zu begrüßen.

Auch wenn der Gesetzgeber sich für eine Umstellung des Regimes zur Steuerung der Windenergienutzung hin zu einer rein positiven Flächenauswahl entschieden hat, so haben die Fragen dennoch für eine Übergangszeit weiter Bedeutung, denn bis zum 1. Februar 2024 können noch Konzentrationszonenplanungen nach altem Modell wirksam werden (§ 245e Abs. 1 Satz 1 BauGB) und entfalten diese und bestehende Altpläne dann unter Umständen noch bis zum Abschluss des Transformationsprozesses Ende 2027 die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB und werfen auch die Frage nach isolierter positiver Ergänzung auf. Die Entscheidung zeigt, dass nach wie vor nicht alle Fragen geklärt sind und sich – wie so häufig – schematische Lösungen verbieten und immer die Umstände des konkreten Einzelfalls zu beleuchten sind.

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