Es kann für Nachbarn teuer werden: Oberlandesgericht Schleswig zur Kostenerstattung bei Messungen im zivilgerichtlichen Verfahren

18.02.2022

In den vergangenen Jahren haben sich – insb. in Schleswig-Holstein – vermehrt Nachbarn vor Zivilgerichten gegen den Betrieb von Windenergieanlagen gewendet. Häufig wurde dabei der Streit um die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vor den Verwaltungsgerichten mit annähernd identischen Argumenten bei den Zivilgerichten fortgesetzt. Fristen für solche Klagen vor dem Zivilgericht gibt es – anders als beim Rechtsschutz gegen die zu Grunde liegende Genehmigung – nicht.

Inhaltlich wird auch in diesen Verfahren im Wesentlichen vorgetragen, dass die Windenergieanlagen mehr Lärm oder Schattenwurf verursachen als zulässig. Auch vermeintliche Infraschallbelastungen werden behauptet. Anders als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren können die Fragen um die Einhaltung der Richtwerte im zivilgerichtlichen Verfahren in der Regel nicht auf Basis der im Rahmen des Genehmigungsverfahrens, eingereichten Immissionsprognosen beurteilt werden. Hier ist – sofern eine potentielle Beeinträchtigung jedenfalls halbwegs schlüssig dargetan ist – in aller Regel eine Messung der Immissionen erforderlich. Hierbei muss zunächst ein geeigneter Sachverständiger gefunden und die konkrete Art der Messung festgelegt werden. Gestritten wird dann u.a. darüber, ob die nach TA Lärm übliche worst-case – Kurzzeitmessung (wenige Stunden an einzelnen Tagen bei Mitwind und lautestem Betriebsgeräusch) oder eine Langzeitmessung über mehrere Wochen erforderlich ist. Abhängig davon fordert das Gericht in der Regel vom Anlagenbetreiber einen Kostenvorschuss für die voraussichtlichen Kosten der Beweisaufnahme. Die Kosten belaufen sich in der Regel auf mehrere Tausend Euro. Das ist zwar ärgerlich, aber für den Fall, dass der Anlagenbetreiber am Ende obsiegt, haben die Nachbarn die Kosten der Beweisaufnahme als Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen und der Anlagenbetreiber kann sich diese Kosten im Rahmen des dem Verfahren nachgelagerten, Kostenausgleichsverfahrens vom unterlegenen Nachbarn wiederholen.

Bislang nicht geklärt war jedoch die Frage, wie mit den Ertragsausfällen umzugehen ist, die dem Anlagenbetreiber im Rahmen der Beweisaufnahme dadurch entstanden sind, dass die Windenergieanlagen für einzelne Zeiträume abgeschaltet werden müssen, bspw. um Vorbelastungen oder einzelne Verursachungsbeiträge zu ermitteln. Diese Ertragsverluste stehen ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beweisaufnahme. Nachdem sich das Landgericht zunächst geweigert hatte, die Ertragsausfälle im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens als erstattungsfähig festzusetzen, hat nun das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (Beschl. v. 11. Februar 2022, 9 W 129/21) in dem von Blanke Meier Evers für einen Anlagenbetreiber geführten Beschwerdeverfahren mit erfreulicher Klarheit entschieden, dass der Ertragsausfall, der der beklagten Anlagenbetreiberin durch die Abschaltung der Windenergieanlagen während der Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen entstanden ist, im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden kann. Denn dabei handele es sich um unmittelbar prozessbezogene und damit notwendige Kosten im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Weiter führte das Gericht aus, da die gerichtlich angeordnete Beweisaufnahme ohne Abschaltung der Windenergieanlagen nicht möglich gewesen sei, sei auch der dadurch entstandene Ertragsausfall für die Durchführung der gerichtlichen Beweisaufnahme notwendig gewesen. Der Ertragsausfall übersteige auch den allgemeinen Aufwand, mit dem die Prozessführung für eine Partei üblicherweise verbunden ist. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die beklagte Anlagenbetreiberin den durch die Abschaltung verursachten Ertragsausfall selbst tragen müsste, zumal die Abschaltung der Windenergieanlage aufgrund einer vom klagenden Nachbarn veranlassten Beweisaufnahme erfolgen musste und für die beklagte Anlagenbetreiberin unvermeidbar war. Anders als vom klagenden Nachbarn vorgebracht, handele es sich auch nicht um eine Realisierung des „unternehmerischen Risikos“, sondern um einen prozessbedingten Ausfall, sodass eine Erstattungsfähigkeit unmittelbar aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO folge. 

Die Entscheidung ist u.E. zutreffend und in ihrer Deutlichkeit absolut zu begrüßen. Gleiches muss dann u.E. gelten, wenn die Windenergieanlagen nicht nur kurzzeitig abgeschaltet werden, sondern z.B. im Rahmen einer Langzeitmessung für einen gewissen Zeitraum nur leistungsreduziert betrieben werden können.

Für Anlagenbetreiber sind das gute Nachrichten, da sie – wenn sie schon nicht alle tatsächlichen Kosten im Zusammenhang mit einem solchen Verfahren erstattet bekommen – jedenfalls nicht auch noch auf dem Ertragsausfall sitzen bleiben. Klagende Nachbarn hingegen müssen sich darauf einstellen, dass sie, wenn sie mit ihrem Klagebegehren nicht durchdringen, neben den üblichen Kosten für Gericht, Rechtsanwalt und Gutachten auch noch die im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme stehenden Ertragsausfälle zu tragen und erstatten haben. So kommen als Kosten des Rechtsstreits insgesamt schnell hohe Summen zusammen. Das wirtschaftliche Risiko für den klagenden Nachbarn ist im zivilgerichtlichen Verfahren also deutlich größer und schlechter zu kalkulieren, als ein Nachbarrechtsbehelf gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vor den (Ober-)Verwaltungsgerichten.

Die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts macht daher Hoffnung, dass Nachbarn auf Grund des wirtschaftlichen Risikos von inhaltlich zweifelhaften Unterlassungsklagen zukünftig eher Abstand nehmen.

Sofern Sie Rückfragen zu diesem oder anderen rechtlichen Themen rund um die Windenergie haben, sprechen Sie uns gerne an.

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