Was ist eine Genehmigung noch wert?
Ein neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bewegt die Windbranche

19.12.2023

Bislang gibt es erst eine Presseerklärung, die Urteilsgründe liegen noch nicht vor, aber schon jetzt sorgt das vor wenigen Tagen erlassene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für Diskussionen (BVerwG, Urt. v. 19.12.2023, 7 C 4.22); seine Reichweite ist derzeit kaum abzuschätzen.

Die Klägerin des Verfahrens, eine Windenergieanlagenbetreiberin, wandte sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthielt zunächst keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Später wurden Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen bekannt und im Zuge einer dortigen Bauleitplanung erfolge eine Kartierung des Fledermausbestandes. Gestützt auf die neuen Erkenntnisse, verfügte die Naturschutzbehörde, die Beklagte, eine nächtliche Abschaltung der Anlagen zu bestimmten Bedingungen auf der Rechtsgrundlage der naturschutzrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 2 BNatSchG.

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte mit seinem Urteil nun die angefochtene Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urt. v. 05.07.2022, OVG 12 KS 121/21) und wies die gegen dessen Urteil eingelegte Revision zurück.

Pressemitteilung

Das Bundesverwaltungsgericht stellte nach seiner Presseerklärung fest, dass eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung ein Tätigwerden der Naturschutzbehörde auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 BNatSchG nicht generell ausschließe. Vielmehr seien die Naturschutzbehörden grundsätzlich auch befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen, nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert habe und das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei. Das Tötungs- und Verletzungsverbot des Bundesnaturschutzgesetzes begründe eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht.

Die Urteilsgründe bleiben aber abzuwarten. Die Begründung in der Presseerklärung lässt derzeit noch vieles offen, auch, wie das Gericht den nachträglichen Eingriff über die naturschutzrechtliche Generalklausel rechtfertigen möchte, eingedenk der dezidierten Regelungen im Umweltschadensgesetz. Problematisch erscheint jedenfalls die Ankündigung, aus dem Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG lasse sich eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht ableiten. Hier ist gänzlich unklar, wie weitreichend das Gericht diese Pflicht auslegen möchte. Soll dies tatsächlich nur für einzelne Betriebsbeschränkungen gelten oder eröffnet die Dauerpflicht auch die Möglichkeit, für die Rücknahme der Zulassungsentscheidung insgesamt? Der zweite Fall bedeutete einen Geltungsverlust der – meist nach langen Jahren, zahlreichen Gutachten und hohen finanziellen Aufwendungen – erlangten Zulassungsentscheidungen. Zugleich geht damit eine Unsicherheit für die Anlagenbetreiber einher, ist doch die konkrete Ausgestaltung der Genehmigung Basis der auf die Zeit des Betriebs ausgelegten wirtschaftlichen Entscheidungen. Auf die Bestandskraft der Genehmigungen und deren Absicherung des Betriebes werden sich die Betreiber künftig jedenfalls nicht mehr ohne weiteres verlassen können.

Artenschutz einschlägig?

Ein Punkt, den man abseits der rechtlichen Kritik im Auge behalten muss, ist der Umstand, dass die Einschlägigkeit der artenschutzrechtlichen Verbote, sprich die Überschreitung der sogenannten Signifikanzschwelle für die Fledermäuse, in dem Verfahren unstreitig vorlag. Hier werden sich im Regelfall aber Diskussionsmöglichkeiten bieten oder finden, an der grundsätzlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des Anlagenbetriebs zu zweifeln. Zudem dürften in der Situation die Nachweispflichten bei der Genehmigungsbehörde liegen, so dass es nicht ohne weiteres möglich sein wird, in den Anlagenbetrieb einzugreifen. Vor diesem Hintergrund sollte man die formelle Möglichkeit, die das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, nicht überbewerten. Häufig wird sich die Frage stellen, ob überhaupt nachträglich artenschutzrechtliche Verbote einschlägig sind. Auch das durch den Bundesgesetzgeber neu gestaltete Artenschutzrecht wird hier Hilfestellung bieten, die nicht unbedingt zu wirtschaftlichen Nachteilen für den Betreiber führen müssen.

Alles in allem bleibt tatsächlich wirklich die schriftliche Entscheidung abzuwarten, dann wird man in vielem sicher klarer sehen.

Sofern Sie Fragen zu der Entscheidung oder allgemein zu den behandelten Themen haben, steht Ihnen das Team von BME, insb. die Kolleginnen und Kollegen Herr Dr. Hinsch, Frau Dr. Vogt und Herr Zietlow gerne zur Verfügung.

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