Coronavirus – arbeitsrechtliche Auswirkungen

20.03.2020

Die Corona-Krise hat massivste Auswirkungen auf das gesamte Leben, auch das Arbeitsrecht ist in erheblichem Umfang betroffen. Nachstehend ein Überblick:

 

Bei der derzeitigen Schließung der Schulen und Kitas stellen sich die Fragen, ob der Arbeitnehmer zu Hause bleiben darf und ob er eine Lohnfortzahlung erhält. Sofern bei der Schließung der Kita/Schule unter Berücksichtigung des Alters der Kinder eine Betreuung erforderlich ist (dies dürfte bis zum Alter von 12 Jahren der Fall sein), so müssen die Eltern zunächst alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, die Kinderbetreuung anderweitig sicherzustellen (z. B. Betreuung durch anderen Elternteil). Kann die erforderliche Kinderbetreuung auch dann nicht gewährleistet werden, dürfte ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers aufgrund von Unzumutbarkeit bestehen, so dass der Arbeitnehmer von der Pflicht der Leistungserbringung frei wird. Allerdings gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“, d.h. grundsätzlich führt der Arbeitsausfall des Arbeitnehmers zu einem Wegfall der Vergütungspflicht. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes bildet § 616 BGB, wonach ein Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch nicht verliert, wenn er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Dienstleistung verhindert wird. In der Praxis ist in vielen Arbeitsverträgen oder Tarifvereinbarungen die Anwendung des § 616 BGB ausgeschlossen, so dass keine Lohnzahlung zu leisten ist. Aber auch, wenn § 616 BGB nicht ausgeschlossen sein sollte, spricht viel dafür, dass die beschlossene Schulschließung von vier Wochen einen erheblichen Zeitraum darstellt und aus diesem Grund kein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers besteht. Arbeitgeber sollten Gespräche mit den betroffenen Arbeitnehmern führen und pragmatische Lösungen finden. Außer einer unbezahlten Freistellung könnte eine teilweise unbezahlte, teilweise bezahlte Freistellung, ein Abbau von Überstunden, eine Urlaubsgewährung oder aber auch eine Tätigkeit im Home-Office in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus ist kurzfristig ein Bundesgesetz geplant, wonach Arbeitgeber Lohnfortzahlungen erbringen sollen und sich diese vom Staat zurückholen können.

 

Hinsichtlich der Tätigkeit im Home-Office ist folgendes zu beachten: Sofern in dem Arbeitsvertrag bzw. einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung keine Tätigkeit im Home-Office geregelt ist, besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers, im Home-Office zu arbeiten. Das Gleiche gilt aber auch andersherum. Ohne vertragliche Grundlage ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, seine Tätigkeiten im Home-Office zu erbringen. Zwecks Reduzierung von Infektionsrisiken wird derzeit aber häufig eine einvernehmliche Tätigkeit im Home-Office vereinbart. Dies ist sinnvoll, es ist aber darauf hinzuweisen, dass datenschutzrechtliche Bestimmungen eingehalten werden müssen (z.B. muss gewährleistet sein, dass keine Dritten wie der Partner oder Kinder Zugang zu den Akten haben). Überdies muss sichergestellt sein, dass in arbeitsschutzrechtlicher Hinsicht ein geeigneter Arbeitsplatz vorhanden ist.

 

Sofern Arbeitnehmer befürchten, dass sie sich im Büro anstecken, steht den Arbeitnehmern kein Leistungsverweigerungsrecht zu. Im Falle eines unentschuldigten Fehlens besteht kein Lohnanspruch, vielmehr ist der Arbeitgeber berechtigt, abzumahnen und bei beharrlicher Arbeitsverweigerung gegebenenfalls zu kündigen. Aber auch hier sollte nach einvernehmlichen Lösungen gesucht werden (Home-Office, unbezahlte Freistellung, Abbau von Überstunden). Ein Leistungsverweigerungsrecht dürfte jedoch dann bestehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf eine Dienstreise schicken will, die in ein Risikogebiet führt. Diese Anweisung entspräche nicht billigem Ermessen und wäre daher rechtswidrig.

 

Sollte im Unternehmen ein Verdachtsfall bestehen, etwa, da sich der Arbeitnehmer in einem Risikogebiet aufgehalten hat und Krankheitssymptome aufweist, so steht dem Arbeitgeber nicht das Recht zu, von dem betreffenden Arbeitnehmer einen Coronatest einzufordern. Um seiner Fürsorgepflicht nachzukommen und andere Arbeitnehmer zu schützen, dürfte der Arbeitgeber aber berechtigt sein, den Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen. Einvernehmlich sollte eine Home-Office Lösung angestrebt werden.

 

Sofern das Gesundheitsamt eine häusliche Quarantäne anordnet, so ist zu unterscheiden. Falls der Arbeitnehmer tatsächlich am Coronavirus erkrankt ist, hat er gegenüber dem Arbeitgeber einen gesetzlichen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Ist der Arbeitgeber dagegen nicht erkrankt, ist der Arbeitnehmer zur Tätigkeit im Home-Office verpflichtet, sofern eine entsprechende vertragliche Grundlage besteht (siehe oben). Umstritten ist, ob in diesem Ausnahmefall, in dem der Arbeitnehmer das Haus nicht verlassen darf, eine Verpflichtung des Arbeitnehmers besteht, im Home-Office zu arbeiten, wenn im Vertrag keine Home-Office Regelung enthalten ist. M.E. ist dies zu bejahen, da der arbeitsfähige Arbeitnehmer ja seiner Verpflichtung, am eigentlichen Arbeitsort – dem Betrieb des Arbeitgebers – zu arbeiten, nicht nachkommen kann. Wenn bei dem betreffenden Arbeitnehmer in Quarantäne kein Home-Office möglich ist, da er z.B. in der Produktion tätig ist, so kommt wieder die Anwendung des § 616 BGB (Vergütungsanspruch bleibt bestehen, wenn der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Dienstleistung verhindert wird) in Betracht. Ist der Zeitraum nicht unerheblich oder die Anwendung des § 616 BGB ausgeschlossen, steht dem Arbeitnehmer ein Entschädigungsanspruch nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes zu. Der Arbeitgeber hat die Zahlungen vorzufinanzieren und erhält sie von der Behörde erstattet.

 

Im Fall einer Betriebsschließung – sei es „freiwillig“, sei es infolge einer behördlichen Anordnung – behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Entgeltzahlung, da der Arbeitgeber insoweit das Betriebsrisiko trägt. Allerdings enthalten einige Tarifverträge abweichende Regelungen, wenn weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer den Arbeitsausfall zu vertreten haben. Der Arbeitgeber sollte bei einer Betriebsschließung „Kurzarbeit Null“ einführen und Kurzarbeitergeld beantragen.

 

Bevor der Arbeitgeber aufgrund der sich zuspitzenden wirtschaftlichen Lage betriebsbedingte Kündigungen ausspricht, sollte überlegt werden, zunächst Kurzarbeit einzuführen Die Regierung hat ein erleichtertes Kurzarbeitergeld beschlossen. Hiernach müssen nur noch 10% der Belegschaft vom Arbeitsausfall betroffen sein (vorher war es ein Drittel), überdies werden den Arbeitgebern die Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe erstattet (bisher hatten die Arbeitgeber 80% der Sozialversicherungsbeiträge zu finanzieren). 

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