Beschleunigung von Verwaltungs-Gerichtsverfahren durch das neue Investitionsbeschleunigungsgesetz?

26.12.2020

Nach seiner Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt vom 10. Dezember 2020 ist das Investitionsbeschleunigungsgesetz in Kraft getreten.

 

Gesetzgeberisches Ziel 

 

Ziel der Überarbeitung ist die Beschleunigung bei Planungsverfahren im Infrastrukturbereich, insbesondere soll der Bau von Windenergievorhaben beschleunigt werden. Von den enthaltenen Regelungen soll der Blick hier allein auf die Änderungen im Bundesimmissionsschutzgesetz und der Verwaltungsgerichtsordnung gerichtet werden.

 

Entfall der aufschiebenden Wirkung

 

Das Investitionsbeschleunigungsgesetz sieht in Bezug auf das Bundes-Imissionsschutzgesetz vor, dass Rechtsbehelfe von Dritten, also Nachbarn, Gemeinden oder Umweltvereinigungen, gegen die Genehmigung von Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m keine sogenannte aufschiebende Wirkung mehr entfalten. Bislang war es so, dass nach Erhebung eines Drittwiderspruchs bzw. einer Drittklage der Baufortgang gestoppt werden und bei der Genehmigungsbehörde die Entscheidung über die sofortige Vollziehbarkeit der Zulassungsentscheidung eingeholt werden musste; ggf. erfolgte diese Entscheidung auch schon mit der Zulassung der Vorhaben. Durch die Änderung im Investitionsbeschleunigungsgesetz entfällt die Notwendigkeit einer behördlichen Entscheidung. Statt dessen kann der Genehmigungsinhaber die Errichtung seines Vorhabens sofort beginnen. Rechtsbehelfe von Dritten hindern also die Umsetzung der genehmigten Vorhaben nicht mehr automatisch, vielmehr müssen Rechtssuchende, wollen sie den Baufortgang stoppen, zunächst ein gerichtliches Eilverfahren bemühen und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs beantragen (und erreichen). 

 

Da vor allem Privatpersonen den mit Kosten verbundenen Weg über eine gerichtliche Entscheidung scheuen, dürfte die gesetzliche Änderung durchaus zu einer Beschleunigung in der Umsetzung genehmigter Vorhaben führen. Allerdings liegt die Hauptursache für die zeitlich schier endlosen Genehmigungsverfahren vielfach nicht in den Gerichtsverfahren, sondern in den überkomplexen und vor allem arten- und habitatschutzrechtlich aufgeladenen behördlichen Genehmigungsverfahren, die nicht selten viele Jahre dauern. Der Gewinn der gesetzlichen Änderung dürfte daher – auch im Hinblick auf die bislang ja bestehende Möglichkeit der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs der Genehmigungsentscheidung – eher gering sein.

 

Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts

 

Eine zweite wichtige Änderung betrifft die gerichtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten bei großen Infrastrukturvorhaben, insbesondere auch für Windenergieanlagen, in der Verwaltungsgerichtsordnung. Lag die Zuständigkeit bisher bei den Verwaltungsgerichten, verlagert sich diese nunmehr auf die Oberverwaltungsgerichte. Dies führt im Ergebnis zu einer Verkürzung des Instanzenzuges. Auch dies soll der Verfahrensbeschleunigung dienen und zu einer rascheren Umsetzung der Zulassungsentscheidungen für Windvorhaben führen. 

 

Ob man dieses Ziel erreicht, erscheint allerdings fraglich. Zum einen ist völlig unklar, ob und wie die Oberverwaltungsgerichte mit dem zu erwartenden Arbeitsanfall durch die immer zahlreicheren Klagverfahren umgehen können bzw. umgehen werden. Eine zur zeitnahen Bewältigung der Aufgabe erforderliche personelle Aufstockung der Gerichte ist jedenfalls weder unmittelbar angekündigt noch erscheint sie realistisch. Zudem entfällt mit dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eine ganze Tatsacheninstanz, d.h. eine Instanz, in der die sachverhaltsseitige Aufklärung erfolgt und Beweisanträge gestellt werden können. Dies ist ab jetzt statt in zwei Instanzen nur noch in einer möglich. Es entfällt auch das Rechtsmittel der Berufung. Das hat zwar einerseits zur Folge, dass sich das gerichtliche Verfahren zeitlich verkürzt. Andererseits verkürzt sich auch der Rechtsschutz und eine für fehlerhaft gehaltene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts kann nur noch über das Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht überprüft werden. Die Verkürzung des Instanzenzuges mit Entfall einer Tatsacheninstanz stellt insbesondere für Projektierer ein großes Risiko dar; insbesondere soweit sie ihr Vorhaben wegen des Entfalls der aufschiebenden Wirkung bereits verwirklicht haben. Auch in Bezug auf diese gesetzliche Änderung bleibt daher abzuwarten, ob sie tatsächlich der Verfahrensbeschleunigung und vielleicht nur dieser dient, nicht aber dem verstärkten Ausbau der Windenergienutzung, der gemäß Gesetzentwurf Hintergrund der Änderung war und der so dringend benötigt wird.

 

Als Ansprechpartner/innen stehen Ihnen die Kolleginnen und Kollegen Dr. Andreas Hinsch, Dr. Mahand Vogt, Benjamin Zietlow, Inga Wömmel und Anna-Maria Koch gerne zur Verfügung.

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