Zivilrechtsschutz gegen den Betrieb von Windenergieanlagen – „Bahnbrechende“ Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts aus Juni 2019 wohl doch nicht so „bahnbrechend“

06.12.2019

Mitte des Jahres verunsicherte eine Entscheidung des 7. Senats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (Urt. v. 13.06.2019, Az. 7 U 18/19) mit teilweise etwas abseitigen Ausführungen zum Messverfahren der TA Lärm und zu erforderlichen Beweisaufnahmen im Rahmen des zivilgerichtlichen Verfahrens die Branche sowie die Landgerichte. Von den Gegnern der Windenergie wurde diese Entscheidung als „bahnbrechend“ betitelt, wobei die Entscheidung teilweise offensichtlich fehlerhaft war und im Übrigen rechtlich nichts wesentlich Neues enthielt.

 

In einer nun von Blanke Meier Evers in einer fast identischen Angelegenheit erstrittenen Entscheidung des 9. Senats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (Urt. v. 04.12.2019, Az. 9 U 152/18), hat dieser sich in zutreffender Weise von den Ausführungen des 7. Senats distanziert und die – im Übrigen nicht rechtskräftige – Entscheidung des 7. Senats damit deutlich relativiert.

 

Der 9. Senat hat zunächst ausgeführt, dass Schallmessungen entsprechend der TA Lärm weiterhin als Worst-Case-Messungen durchgeführt werden können und diese auch vorzugswürdig gegenüber unbeaufsichtigten Langzeitmessungen sind, wie sie der 7. Senat noch angeregt hatte. Die Frage, ob das Interimsverfahren auch im Zivilstreitverfahren zu berücksichtigen ist, hat der 9. Senat hingegen offengelassen, weil es im konkreten Fall berücksichtigt wurde und an der Einhaltung der Richtwerte nach beiden Verfahren keine Zweifel bestanden.

 

Auch stellte der 9. Senat klar, dass die Beurteilungszeit im Sinne der TA Lärm etwas anderes als die tatsächlich erforderliche Dauer der Messung ist. Der 7. Senat hatte hier noch argumentiert, die dem Verfahren zugrundeliegende Messung habe nicht einmal den Mindestvorgaben der TA Lärm entsprochen, weil die Messung nicht über die gesamte Beurteilungszeit (also für den gesamten Tages- bzw. Nachtzeitraum) erfolgt sei. Dieses offensichtliche Missverständnis des 7. Senats hinsichtlich der Regelungen in der TA Lärm wurde nun klargestellt.

 

Zu den vielfach von den Klägern behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Infraschall, ist es nach Auffassung des 9. Senats nicht erforderlich, dem Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den gesundheitlichen Folgen von Infraschall nachzugehen. Aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes sei ein solches Beweismittel derzeit ungeeignet.

 

Erfreulich ist ferner, dass der 9. Senat der – auch diesseits vertretenen – Auffassung gefolgt ist, dass allein der Umstand, dass ein Sachverständiger, der Aufträge (auch im größeren Umfang) aus der Branche, der die Parteien angehören, annimmt, nicht automatisch als befangen anzusehen ist, sondern es auf die konkreten Umstände des Falles ankommt, insbesondere darauf, ob der Sachverständige in einem besonderen persönlichen oder sachlichen (Vorbefassung) Näheverhältnis zu den Parteien steht.

 

Im Übrigen schließt sich der 9. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts bzgl. weiterer häufig gerügter Themen (z.B. optisch bedrängende Wirkungen oder Eiswurf) den von den Verwaltungsgerichten in ständiger Rechtsprechung angewendeten Bewertungsgrundsätzen an.

 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig und die Revision wurde zugelassen.

 

Für Rückfragen stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Andreas Hinsch und Rechtsanwalt Benjamin Zietlow gerne zur Verfügung.

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